Schyren-Gymnasium Pfaffenhofen
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Wer bin i, wenn i red, wia i red?

Pfaffenhofener Schüler erkunden das Spannungsfeld dialektaler Identität

Als der Fotograf anregt, ob die Gruppe sich nicht, passend zum Thema, in Dirndl und Tracht präsentieren wolle, mit Bayernwimpel, König Ludwig-Tasse und vielleicht einem Wolperdinger - zur Not ginge auch ein Dackel –, da schüttelt Dr. Tanja Eisert entrüstet den Kopf: "Gerade darum", sagt sie, "geht es ja, dass die Dialektforschung aus dem Eck von Folklore und Heimattümelei herausgeholt und als ernsthafter Zweig der Sprachwissenschaft wahrgenommen wird."

Gemeinsam mit ihren Schülern am Schyren-Gymnasium hat sich die Germanistin in den zurückliegenden anderthalb Jahren ausgiebig mit bairischer Tradition und Mundart beschäftigt. "Dialekt und Identität", so lautet der Titel ihres Seminars, mit dem sich die Jugendlichen auf ein Universitätsstudium vorbereiten, und aus dem ein Stapel beachtlicher Abschlussarbeiten hervorgegangen ist.

Hierzu hat Tanja Eisert mit Anthony Rowley nicht nur einen der renommiertesten Dialektforscher an die Schule geholt. Viel Lob von Professoren der Sprachwissenschaft ernteten die ambitionierten Beiträge der zehn Pfaffenhofener Gymnasiasten im Herbst auch auf dem Tag des Dialekts, einem von der Johann-Andreas-Schmeller-Gesellschaft gemeinsam mit dem Regensburger Dialektforum veranstalteten Kongress in der Domstadt.

Worum geht es in diesen Arbeiten? Zunächst wurden Zusammenhänge zwischen Mundart und zugeschriebenem sozialem Status untersucht. In sprachwissenschaftlicher Hinsicht stellt das Bairische eine gleichwertige und gleichberechtigte Varietät des Deutschen dar; im Alltagsleben ist dies dagegen nicht der Fall, wenngleich in einer "Welt, in der das einzelne Individuum um eine eigenständige Identität in einer großen, um sich greifenden Verallgemeinerung kämpfen muss" (Zitat aus einer Schülerarbeit) vieles dafür spricht, lokalen Identifikationssymbolen mehr Bedeutung einzuräumen.

Doch woran genau sich die gefühlte Verwurzelung festmachen soll, das ist gar nicht so leicht zu benennen. Natürlich haben Heimatforscher immer wieder eine regionale Identität beschrieben, wie sie im "Hallertauer Heimatlied" greifbar ist, das neben anderen heimatbezogenen Texten untersucht wurde; und auch das Hallertauer Bairisch stellt eigentlich eine ganz eigene und unverwechselbare, vom Sprachgebrauch der Saisonarbeiter, jüdischen Hopfenhändler und Flüchtlinge geprägte Mischung dar. Das ernüchternde Ergebnis einer Umfrage deutet aber eher darauf hin, dass sich die regionale Identität auf dem Rückzug befindet und die hier Ansässigen sich zunehmend schlicht als "typische Bayern" fühlen.

Nun kann man fragen, ob die regionale Identifikation im Bereich der Trachten vielleicht stärker verankert ist? Grundsätzlich ist diese Frage angesichts der Vielzahl von Trachtenvereinen, die auch zahlreiche junge Mitglieder haben, zu bejahen, doch ein deutlich erkennbarer Trend scheint auch in Richtung Spaßkultur und "Wies'nfasching" zu gehen.

Dass sich die Wertschätzung der Mundart positiv auf die allgemeine Sprachkompetenz auswirkt, kann inzwischen als wissenschaftlich erwiesen gelten: Untersuchungen an Dialekt sprechenden und bilingual aufwachsenden Kindern zeigen, dass Menschen, denen mit der Mundart ein zusätzliches Ausdrucksmittel zur Verfügung steht, in Variationskompetenz, Auffassungsgabe und abstraktem Denken im Vorteil sind, wo es um das Erlernen von Fremdsprachen geht. Als Konsequenz fordert der Sprachwissenschaftler Anthony Rowley, Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften: "Geben Sie Ihren Dialekt an die Kinder weiter!"

So ist natürlich die Pflege der Mundarten seit jeher auch in den bayerischen Lehrplänen verankert; die Wichtigkeit dieser Art von Sprachförderung kann kaum ernsthaft bestritten werden. Aber wie lässt sie sich an der Schule umsetzen? Eine Befragung der Jugendlichen hat ergeben, dass der Dialekt in vielen Unterrichtssituationen von allen Beteiligten als förderlich angesehen wird - seine positive Wirkung, die der Soziolinguist Hans Ramage als "kommunikative Funktion" bezeichnet, kann er aber nur dort entfalten, wo alle Beteiligten Dialektsprecher sind – und dies wird immer seltener der Fall sein; so bleibt das Bairische als Unterrichtssprache eine Sonderoption.

So haben sich die Teilnehmer des Dialekt-Seminars auf hohem Niveau mit anspruchsvollen wissenschaftlichen Fragestellungen beschäftigt. Sie haben bairische Sprachinseln in Ungarn erforscht und das Bairische mit dem Dialekt in Westfalen verglichen. Ihre Ergebnisse werfen ein buntes Licht auf die gar nicht so einfache Frage, was es bedeutet, wenn jemand sagt: "Ich bin von hier."

© Roland Scheerer, Pfaffenhofen 2013