Schyren-Gymnasium Pfaffenhofen
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Dichterlesungen am SGP - Christoph Poschenrieder

Rekonstruktion eines Weltkriegs
Christoph Poschenrieder liest am Schyren-Gymnasium aus seinem Roman "Der Spiegelkasten"

Autor Christoph Poschenrieder stellt am Schyren-Gymnasium seinen aktuellen Roman "Der Spiegelkasten" vor.

Was wir Geschichte nennen, ist immer Konstrukt aus einer bestimmten Perspektive und anhand ausgewählter Quellen. So ist es jeder Generation aufgegeben, ihren eigenen Zugang zur Vergangenheit zu finden. Dies ist wird besonders deutlich im Hinblick auf den Ersten Weltkrieg, für den heute die Zeitzeugen fehlen, die den Älteren noch zur Verfügung standen.
Der Autor Christoph Poschenrieder, geboren 1964, folgt dem Helden seines Romans "Der Spiegelkasten" (Diogenes-Verlag), einem jüdischen Reserveoffizier der bayerischen Armee, auf die Schlachtfelder und in die Lazarette Nordfrankreichs, während sein Jetztzeit-Protagonist, von der medialen Revolution aus der Bahn geworfen, beim Recherchieren ebendieser Ereignisse an seine psychischen Grenzen gerät. Am Freitagabend stellte Poschenrieder das Buch den etwa achtzig Zuhörern bei einem Autorenabend am Schyren-Gymnasium vor.

Dessen wichtigste Inspirationsquelle, ein altes Fotoalbum, das ihn auch bei seiner Lesung begleitet, hat Poschenrieder nirgends dazu verleitet, die Handlung zum bloßen Vorwand für Stimmungsschilderungen zu machen oder die zerstörte Landschaft um ihrer selbst willen vor dem Leser auszurollen. Poschenrieders große poetische Disziplin zeigt sich auch in der Sprache: Da ist kein Zierrat, kein Wort zu viel, jede Beschreibung ist unmittelbar in die Handlung verwoben und von ihr bedingt.

Das Gestalten von Kampfszenen birgt naturgemäß Gefahren. Poschenrieder hat hier einen eigenen Zugang gefunden, bleibt distanziert. Er vermeidet es, Grauen und Ekel Überhand gewinnen zu lassen; ganz unaufdringlich erschließt sich die psychologische Tiefe der Hauptperson. Spannung entsteht, wo es um das Überleben geht, bisweilen auf ganz konventionelle Weise, aber darin erschöpfen sich keineswegs die Vorzüge dieses Romans. In dem Maße, wie der Autor sich zu Distanz und Zurückhaltung zwingt, nach amerikanischem Vorbild zum Stilmittel lakonischen understatements greift, lässt er dem Leser reichlich Luft, selbst zu urteilen.

Poschenrieders besonderes Interesse gilt dem Schicksal der jüdischen Kriegsteilnehmer auf deutscher Seite, von denen viele den Kriegsausbruch als willkommene Chance begreifen, mit den herrschenden Vorurteilen ein für allemal aufzuräumen und sich durch besondere Tapferkeit als mustergültige Patrioten zu beweisen - eine Hoffnung, die sich als tragischer Irrtum erweisen sollte.

Am Ende der Lesung beantwortet der Autor Publikumsfragen und berichtet von seinen umfangreichen Archivrecherchen. Angesichts des gelungenen Abends ist es Julia Tiefenthaler und Elisabeth Haberl, die die Autorenlesungen am Schyren-Gymnasium koordinieren, zu wünschen, dass die 1987 von Hellmuth Inderwies ins Leben gerufene Reihe mit ähnlich eindrucksvollen Texten fortgesetzt wird.

Text und Bild: ©Roland Scheerer, Pfaffenhofen, 2012